Die Klasse 5e in Berlin
Es war 6:45 Uhr – trotzdem herrschte schon reger Betrieb am Flughafen Kloten. Mitten in der Menge standen wir, die Klasse 5e, 24 Schüler, Herr Wenger unser Sportlehrer, Herr Bünter unser ehemaliger Deutschlehrer und Frau du Bois unsere momentane Deutschlehrerin. Fast alle sahen noch ziemlich verschlafen aus und beeilten sich mit dem Check-In, um sich möglichst schnell um die letzten persönlichen Kleinigkeiten für die anstehende Reise zu kümmern oder sich einen Sitzplatz beim Gate zu sichern. Das Boarding ging sehr rasch über die Bühne und der Abflug verlief reibungslos. Wir Schüler und unsere Begleitpersonen sahen inzwischen auch um einiges wacher aus und waren schon voller Vorfreude auf die Millionenstadt, die uns erwartete. In Berlin angekommen, machten wir uns erst einmal auf den Weg zum „Kolo 77“, einer Jugendherberge, die uns die nächste Woche als Schlafplatz, Aufenthaltsort bei grösseren Pausen und Orientierungspunkt in der riesigen Metropole dienen würde. Für einen besonders grossen Stopp nach der anstrengenden Reise war aber keine Zeit, da Herr Bünter, der die gesamte Arbeitswoche vorbereitet hatte, den ganzen Tag schon verplant hatte. Er hatte unsere Klasse als Deutschlehrer abgegeben, wollte aber noch diese letzte Arbeitswoche mit uns verbringen, auch weil er schon über 600 Minuten Filmmaterial über Berlins Geschichte geschaut hatte und das Wissen, das er gesammelt hatte, mit uns teilen wollte.
Nachdem wir uns also provisorisch in unseren relativ grossen Zimmern mit Küche eingerichtet hatten, machten wir uns direkt wieder auf den Weg. Wir assen gemeinsam in einem kleinen Lokal und gingen anschliessend direkt weiter zu unserem ersten Programmpunkt, um gemeinsam Berlins Geschichte zu entdecken, „Berlin on Bike“. Die Klasse teilte sich in zwei Gruppen auf und radelte zu verschiedenen Schauplätzen, an denen unser Guide viele spannende Erläuterungen zur Zeitgeschichte der DDR und dem geschichtlichen Rahmen des Regierungsbezirkes machte. Die Schweizer Botschaft durfte bei dieser Führung durch ganz Berlin natürlich nicht fehlen. Nach drei Stunden strampeln und zuhören waren wir alle ziemlich erschöpft und hatten uns eine Pause verdient. Da wir aber nicht genug Zeit hatten, um in unsere Jugendherberge zurück zu finden, suchten wir uns direkt etwas zu essen. An diesem Abend konnte ich die angeblich beste Currywurst Berlins probieren und kann darüber nur sagen: köstlich. Die Berliner untertreiben nicht, wenn sie sagen, sie machten die beste Currywurst der Welt. Auf der Suche nach dem BKE-Theater, wo wir unseren Abend verbringen würden, sind die hilfsbereiten Berliner sehr von Nutzen. Denn das öffentliche Verkehrsnetz ist für einen Frischling in der Stadt eine echte Herausforderung. Trotzdem haben wir es alle hingekriegt, das Theater zu finden, stiegen in den fünften Stock des Gebäudes hoch (ohne Lift) und suchten uns Plätze. Das Theater war nämlich zum Bersten voll. Nach zehn Minuten Zugucken wussten wir auch wieso. Es war ein Improvisationstheater an dem zwei Zweiermannschaften gegeneinander antraten, und das Publikum konnte rege an der Handlung des Bühnenspiels teilnehmen. Es war das lustigste Theater, das ich je gesehen habe, und da spreche ich sicher nicht nur für mich alleine. Alle lachten sich fast tot und als das ganze Spiel vorbei war, waren viele für eine Zugabe. Leider wurde uns dieser Wunsch nicht erfüllt. Den Abend konnten wir ohne unsere Begleitpersonen ausklingen lassen, natürlich immer in Gruppen von mindestens drei Personen, wie es in den Regeln geschrieben war. Um 00:00 Uhr mussten wir aber zu Hause sein, um zu verhindern, dass wir am nächsten Morgen nicht zu gebrauchen wären.
Am Dienstag trafen wir uns um 8:00 Uhr zum Frühstück. Dieses war relativ einfach, aber sehr zufriedenstellend. Alle wurden immer satt. Unsere erste Anlaufstation an diesem Tag war das Jüdische Museum, das an der Lindenstrasse in der Nähe des Alexanderplatzes steht. Dort hatte Herr Bünter eine Führung gebucht, der wir dann, wiederum in zwei Gruppen, folgten. Viele, mit denen ich geredet habe, stimmen mir zu, dass diese Führung das spannendste Erlebnis in der ganzen Woche war. Wir bekamen anhand von Beispielen das Leben der jüdischen Bevölkerung im Laufe der Geschichte erklärt und konnten auch rege unser Vorwissen einbringen. Wir erfuhren aber auch spannende Details über die Architektur des Gebäudes selbst. Die Führung dauerte ungefähr 90 Minuten und kam uns allen viel zu kurz vor.
Für den Nachmittag war ein Besuch im Reichstag geplant. Dafür brauchten wir unsere Pässe, was wiederum zu einem Hindernis wurde, denn manche hatten ihn vergessen, mussten zur Herberge zurückfahren, schafften dies zeitlich aber fast nicht, weil sie sich immer noch nicht an das verwirrende öffentliche Verkehrsnetz gewöhnt hatten. Trotzdem waren alle mehr oder weniger pünktlich am Treffpunkt vor dem Reichstag. Die Führung wurde von einer eher weniger interessant sprechenden Dame gehalten. Der Inhalt der Führung wäre wahrscheinlich spannend gewesen, aber das Zuhören fiel ein wenig schwer. Zum Glück dauerte das ganze nicht all zu lange, weswegen wir noch relativ viel Zeit hatten zwischen dem Ende der Führung und dem Anfang des Abendprogramms. Die ganze Klasse ging zurück zur Jugendherberge und versuchte sich erst einmal von den Strapazen des Tages zu erholen, sei es beim Schlafen, XBOX Spielen, Musikhören oder auch einfach beim gemütlichen Zusammensitzen und Reden.
Am Abend besuchten wir das „Maxim Gorki“ Theater, wo wir uns das Stück „Jeder stirbt für sich alleine“ anschauten. Leider war dieses Stück nicht so gut, wie das vom Vortag, und um ehrlich zu sein, war es schwierig, die Augen offen zu halten, sogar für die Lehrer. Die meisten waren ziemlich froh, nach zwei Stunden Nervenprobe wieder an der frischen Luft zu sein. Den Rest des Abends liessen wir es uns noch gut gehen, denn wir konnten sogar bis um 01:00 Uhr in der Stadt bleiben.
Der nächste Morgen begann wieder mit einem Frühstück und der Ankündigung von Herrn Bünter, dass wir heute zum Arbeiten kämen. Wir hatten nämlich Bücher gelesen, die in Berlin spielten, und sollten nun einen kleinen Film darüber drehen. Dies kam aber erst am Nachmittag an die Reihe, denn vorher besuchten wir noch das Berliner Ensemble. Dies ist das Theater, in dem einst Bertolt Brecht gearbeitet hatte. Wir nahmen dort an einer privaten Führung teil, die sogar von einem Zeitgenossen Brechts durchgeführt wurde. Dieser konnte viele Anekdoten aus seinem langen Leben erzählen. Er war ein amüsanter Führer, der uns das ganze Theater zeigte und uns jede Einzelheit nahe brachte. Drei Stunden später verliessen wir das Theater wieder und begannen unsere Filme zu drehen. Das Ganze war eine sehr lustige, aber zeitaufwändige Angelegenheit. Die meisten trafen erst wieder um 17:00 Uhr im „Kolo“ ein.
Der Abend war der beste der Woche, denn der Mittwoch war ein besonderer Tag: Tag der Deutschen Einheit. An diesem Tag vor 22 Jahren traten die ostdeutschen Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland bei. Auf Grund dessen wird jedes Jahr u.a. ein riesiges Fest beim Brandenburger Tor veranstaltet und die ganze Klasse inklusive Begleitpersonen machten sich auf den Weg dorthin. Es gab Musik, zu trinken, zu essen und viel zu reden. Die Schüler und die Begleitpersonen haben sich unterhalten als wären sie Freunde (natürlich immer noch in der Höflichkeitsform) und der Abend war an sich ein voller Erfolg, auch wenn die Musik etwas früh zu spielen aufhörte. Herrn Bünter ist sogar herausgerutscht, dass diese Projektwoche die schönste sei, die er jemals erlebt habe.
Am Donnerstag begannen wir wieder mit dem Frühstück. Dieses Mal waren aber alle sichtlich erschöpft vom Vorabend und der ganze Tag kam nur stockend zum Laufen. Wir besuchten das Stasigefängnis Hohenschönhausen. Wiederum in zwei Gruppen. Die beiden Führer waren selbst einmal Insassen des Gefängnisses und konnten somit genau erzählen, wie es dort zu und her gegangen war. Die ganze Führung war extrem spannend, aber auch sehr bedrückend. Sie erzählten uns von physischen und psychischen Foltermethoden, die die Menschenrechte mit Füssen treten. Dies war wohl der dunkelste Teil von Berlins Geschichte, von dem wir neben den Judenverfolgungen zu hören bekamen. Die Führung hat bei uns allen grossen Eindruck hinterlassen und dieses Erlebnis wird wohl niemand der Teilnehmenden je vergessen.
Der Nachmittag stand dann zur freien Verfügung. Ein paar gingen shoppen, einige machten sich wieder auf den Weg in die Herberge, jeder wie er wollte.
Da es der letzte Abend war, gingen Lehrer und Schüler gemeinsam essen, was ein guter Abschluss war. Trotzdem waren alle noch sehr geschafft vom Vorabend, weswegen die meisten zeitig ins Zimmer zurückkehrten.
Am Freitag hiess es nach dem Frühstück Zimmer aufräumen und packen für die Abreise. Dies geschah ohne Reklamationen seitens der Hausbesitzer und wir konnten uns direkt auf den Weg zum Bahnhof machen. Dort lagerten wir unser Gepäck und fuhren nach Potsdam, wo wir das Schloss „Sans Souci“ anschauen wollten. Nach einem einstündigen Marsch durch den Schlosspark, der riesig war, kamen wir beim Schloss an. Da das Schloss eine Touristenattraktion ist und wir leider nicht angemeldet warten, konnten wir es nicht von innen besichtigen. Wir machten uns deshalb stattdessen einen schönen Nachmittag in Potsdam oder in Berlin und trafen uns anschliessend wieder am Bahnhof Friedrichstrasse und fuhren gemeinsam zum Flughafen Tegel. Alle waren sehr erschöpft und froh wieder nach Hause zu kommen, auch wenn es eine wunderbare Woche war, die nicht nur uns Schüler einander näher gebracht hat, sondern auch den Lehrern.
Gabriel Pescia, 5e