Warum sich mit Glück auseinander setzen? Man hat Glück oder hat es nicht, es fällt einem zu oder eben nicht. Doch neben diesem Zufallsglück (Stichwort „Lottogewinn“) gibt es in der Phänomenologie des Glücks weitere Arten von Glück, das Wohlfühlglück (ein Stück Schokolade, ein Sonnenbad, ein Frühlingsspaziergang) und das Glück der Fülle, ein innerer Glückszustand, abgetrennt von äusseren Glücksgütern, eine stille und heitere Zufriedenheit mit sich und der Welt. Diese verschiedenen Arten von Glück galt es zu analysieren, zu reflektieren und auf ihre Nachhaltigkeit zu beurteilen, ausgehend von einem Ausschnitt aus Erich Fromms Werk „Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft“, das zusammen mit seinem Buch „Die Kunst des Liebens“ zu einem Kultbuch in den späten 70er und den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts geworden ist. Leitfrage war, welche Art von Glück der Mensch erlernen und selber fördern kann, für welches Glück er selbst verantwortlich ist. Konkretisiert wurde die Thematik mit Texten zu künstlichem Glück (Drogen) und Glück durch Leistung (Musik, Tanz, Sport). Ein weiteres Thema war ‚Religion und Glück‘: Authentisches Eingebundensein in eine Religion kann glücklich machen; z.B. die Zeitstrukturierung im Judentum: der Sabbat als Insel im gestressten Alltag – und wie lassen sich Zeitinseln in einer säkularen Welt finden? Oder die heitere buddhistische Gelassenheit aufgrund von Erkenntnis und Erleuchtung. Oder die christliche Mystik eines Heinrich Seuse, der in der ‚unio mystica‘ mit Gott sein wahres Glück gefunden hat. Den Abschluss des Vormittags bildete die Auseinandersetzung mit Stress, dem Glückskiller par excellence. Dabei ging es nicht um den normalen, alltäglichen Stress, der zum Leben und auch zum Glück gehört, sondern um den über Wochen und Monate andauernden Stress, der krank macht und Glück hemmt und verunmöglicht.
Am Nachmittag reflektierten vier Experten das Phänomen Glück aus der Sicht der Philosophie, der Psychologie, der Neurologie und der Ökonomie. Die Schülerinnen und Schüler notierten sich dabei die für sie zentralen Aussagen, die wir anschliessend zusammentrugen und diskutierten. Den Abschluss des für alle sehr intensiven Tages bildete eine von mir zusammengestellte Sentenzensammlung, aus der die Schülerinnen und Schüler einen oder zwei für sie wichtige und ansprechende Sätze auswählten, vorstellten und kommentierten. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass dieser Ethik- und Erkenntnistag ganz besonders unter dem Motto „non scholae, sed vitae discimus“ stand. Nur: „Zu wissen, was Sie glücklich macht, heisst nicht unbedingt, es auch zu tun.
Rainer Oberhänsli