Personal Project: Zwei Wochen in einem Flüchtlingscamp in Serbien

Schon am Einführungsnachmittag des Personal Projects war für mich klar, was ich machen wollte: Etwas, was mich verändern und in meinem weiteren Leben prägen würde, und da ich durch meine Mutter Kontakte zu verschiedenen Flüchtlingslagern hatte, schien mir ein Aufenthalt als Volontärin in einem solchen perfekt. Zu Recht! Ich habe zwei Wochen voller unvergesslicher Erinnerungen hinter mir, viele spannende Menschen kennengelernt, sowie auch neue Seiten an mir entdeckt. Zudem hatte sich bewahrheitet, was die Prägung meines weiteren Lebens angeht: Ich plane schon jetzt einen nächsten Aufenthalt im Flüchtlingslager in Preševo. Wie beim letzten Mal würde ich auch dann mit Kuchenverkäufen und ähnlichen Spenden Sammeln für die vielen Dinge, die vor Ort so schmerzlich fehlen.

Meine Aufgaben im Camp in Preševo, Serbien

In Preševo wohnte ich in einer kleinen Wohnung mit zwei anderen Volontären, die mir mit der Koordinatorin zusammen gleich erklärten, dass meine Aufgabe die einer Lehrerin sein würde. So bekam ich zwei Englisch- und eine Deutschklasse, die ich nun täglich für jeweils eine Stunde unterrichtete. Meine anfänglichen Bedenken was die Kommunikation mit Leuten, mit denen ich keine gemeinsame Sprache sprach, anging, war sehr schnell verflogen. So machte mir der Unterricht wie auch das Vorbereiten sehr viel Spass und ich verstand mich bald sehr gut mit meinen temporären Schülerinnen und Schülern. Diese waren alle zwischen dreizehn und achtunddreissig Jahren alt und die Klassen bestanden jeweils aus drei bis ungefähr sieben Leuten. Jedoch waren nicht immer alle anwesend, da der Unterricht im Camp nicht obligatorisch ist, wenngleich die meisten Flüchtenden froh sind um Routine. Von vielen wurde mir erzählt, wie schnell einem das aussichtslose Warten sonst in den Wahnsinn treibe.

Neben der Schule organisierte “Borderfree“ im Camp ein kleines Kaffee: Das “Umbrella“. In diesem wird übersüsster Tee ausgeschenkt, man kann Spiele wie UNO und Schach spielen, zeichnen und Fussball schauen. An jedem zweiten Nachmittag dürfen jeweils nur die Frauen, beziehungsweise nur die Männer dort sein. So gehörte es auch zu meinen Aufgaben, nach der Schule ins “Umbrella“ zu gehen, um mit den Leuten Zeit zu verbringen. Ich spielte zum Beispiel mit den Männern Basketball, warf mit ihnen einen Football, zeichnete und schaute beim Schachspielen zu. Auch lernte ich von einem Mann ein bisschen Farsi und von einem anderen ein wenig Arabisch.

Wo die Männer lieber Schach spielten, konnten sich die Frauen mit stundenlangem UNO-Spielen vergnügen. Bei diesen UNO-Spielen lernte ich die Farben Rot, Gelb, Blau und Grün auf Kurdisch, sowie das Wort “Alibaba“, was für Dieb oder Betrüger steht. Allerdings kann man sehr schnell eine Überdosis UNO bekommen und in diesen Momenten war ich froh um den Beautysalon gab. In diesem schminken einige Flüchtlingsfrauen die anderen Frauen, zupfen ihnen die Augenbrauen und bemalen ihre Nägel. Ein vierzehnjähriges Mädchen lackierte mir dort zweimal die Nägel und einmal liess ich mich sogar schminken. An den Tagen, an denen Männernachmittag ist, ist der Beautysalon ein Friseursalon, in dem ich mir einmal auch die Haare schneiden liess.

Zusätzlich gibt es täglich ein von Borderfree organisiertes Fussballtraining, sowie ein Workout, das von den Flüchtlingen organisiert wird. Einmal spielte ich auch mit den Frauen Streetball, was sehr lustig war.

Meine persönlichen Erfahrungen

Was mich beeindruckte, war wie schnell man die Kulturunterschiede und die verschiedenen Hintergrundgeschichten der Menschen vergisst. So spricht man mit Händen und Füssen, spielt Spiele und lacht zusammen, meist ohne dass es einem weiter beschäftigen würde. Nur kleine Zwischenfälle erinnerten mich wieder an die schrecklichen Dinge, die hinter den Menschen lagen, beziehungsweise auch noch vor ihnen liegen. So schrieb beispielsweise einer meiner Schüler beim Thema Abenteuer über seine Flucht, ein anderer schrieb ein Gedicht darüber, dass man nie aufgeben dürfe, und ein weiterer erzählte mir, wie er nun schon ein Jahr alleine im Camp sei und sich unglaublich einsam fühle. Ein Mädchen erzählte mir davon, wie sie mit ungefähr vierzig Nagellacken flüchtete, und wie der Polizist, der ihre Tasche durchsuchte, lachend meinte, dass die meisten Menschen nicht einmal schafften, sich selbst so weit zu bringen, und er sie dafür bewundere, dass es ihre Nagellacke geschafft hatten.

Der eine Kulturunterschied, der mir jedoch stark auffiel, war wie wenig man Frauen und Männer zusammen zu sehen bekam. Auch musste ich dem Bruder einer Schülerin mehrmals sehr deutlich klarmachen, dass er nicht über seine Schwester zu entscheiden habe, wenn er zum Beispiel mitten in die Stunde platzte, weil sie irgendetwas für ihn tun musste. Wenn man sich in solchen Situationen jedoch klar behauptete, war einem der Respekt sehr schnell einigermassen gewiss.

Eine weiter positive Überraschung waren die unglaubliche Freundlichkeit, Dankbarkeit und das Interesse der Menschen. So war mein Farsilehrer unglaublich geschockt, als ich ihm erzählte, dass man in der Schweiz komisch angeschaut würde, wenn man eine fremde Person grüsse. Im Camp war das Gegenteil der Fall: Wer nicht fragte, wie es dem anderen geht, wurde verdutzt gemustert.  Zudem bekam ich viele Geschenke, wie zum Beispiel getrocknete Sonnenblumenkerne, eine Zeichnung und Schokolade. Zum Abschied schrieb mir ein Schüler sogar ein Gedicht und mehrere andere schenkten mir Armbänder. Und auch zum Ende jeder Lektion bedankten sich die Schüler. Ich glaube in solchen Dingen können wir noch sehr viel lernen.

Ich baute in den zwei Wochen viele persönliche Beziehungen auf und lernte die Leute teilweise sehr gut kennen. Und die Dinge, die ich sah, machten mich wütend. Nicht auf die Flüchtlinge, sondern auf Europa. Beziehungsweise auf die Angst Europas vor den Flüchtlingen. Denn ja, die Leute die ich kennenlernte, haben andere Kulturen als wir, dennoch waren viele von ihnen unglaublich interessiert, lustig, intelligent und vor allem motiviert. Und natürlich gibt es faulere und fleissigere und respektvolle und weniger respektvolle; denn sie sind Menschen. Genau wie wir. Und wir sind auch nicht alle so perfekt, wie wir es uns gerne einreden. Das Einzige, was uns voneinander unterscheidet ist unser immenses Glück.

Und genau deswegen denke ich, dass jeder einen solchen Aufenthalt oder sonstige Arbeit mit Flüchtlingen machen sollte. Um diese unnötige Angst zu verlieren und die Erkenntnis zu erlangen, dass Flüchtlinge bloss Menschen mit Pech sind.

Lena Schulthess, 4b