Yeah, Jenatsch!

Die Klasse 3b unterwegs mit Lukas Külling und Jean Pierre Bünter

Am Anfang war die für Drittklässler eher anspruchsvolle Lektüre des C.F.Meyer-Romans «Jürg Jenatsch, eine Bündnergeschichte» – in der letzten Woche vor den Herbstferien wurde daraus eine erlebnisreiche Arbeitswoche, die quer durch Graubünden bis ins italienische Chiavenna führte.
Am Bahnhof: Wer kommt denn da im rosa Ganzkörperschlafanzug? Ja, einige 3b-Schüler haben ihr ultimatives Outfit gefunden. Im Zug: Aus kabellosen, von unzähligen Handys gesteuerten Lautsprechern quellen Beyoncé, Eminem und Ur-Oldies wie «The House of the Rising Sun, leider aber auch Anton aus Tirol… – erfreulicherweise kennen viele die Texte und singen froh mit. Andere wiederum hält der lautstarke Soundtrack nicht vom Kartenspielen ab. Auf jeden Fall herrscht von Anfang an gute Laune, eine geradezu aufgekratzte Stimmung. Und das schöne Wetter tut das Seine.
Chur ist die erste Station. Dr. Ruch (Anagramm von Chur!) und Frau Gruber lassen uns die Geheimnisse dieser Stadt entdecken: den Churer Fuß, Lukretias Tränen und Jürg Jenatschs Grab in der Hofkirche. 1639 erschlägt Lukretia Planta, so erzählt es C. F. Meyer, ihre Jugendliebe Jürg Jenatsch mit derselben Axt, die einst dieser gegen ihren Vater geschwungen hat – IS lässt grüßen. Auf dem Spielplatz Quader lebt sich der Bewegungsdrang aus – und die Klasse picknickt zwischen den Rutschbahnen.
Am Nachmittag erläutert uns der Kantonsarchäologe Manuel Janosa im eigens für uns geöffneten Rätischen Museum das mehrfach kopierte berühmte Jenatschbild. Die aufmerksamen Schülerinnen und Schüler stellen kluge Fragen und notieren eifrig in ihr schwarzes Feldbuch. In den «Adventure Rooms» an der Grabenstrasse gilt es, sich mit Phantasie und Kombinationsfähigkeit aus einem «Gefängnis» voller Schlösser zu befreien – was nicht alle schaffen, was aber doch Spaß macht. Nun können wir die Zimmer im Viva-Hostel im Welschdörfli beziehen. Im Restaurant Manora bekommen wir, als letzte Gäste des Tages, eine Spätzlipfanne samt Getränk und Dessert zum Spezialpreis.
Dienstag: Auf dem Weg nach Bivio machen wir einen Halt in Cazis. Hier hat die von C.F. Meyer erfundene Lukretia Planta ihre Erziehung genossen, hier wurde sie später Priorin. Die beiden Nonnen des Kloster Cazis, Sr. Nikola und Sr. Benedicta, stehen unseren gut vorbereiteten Schülerinnen und Schülern Red und Antwort und beeindrucken durch ihre Souveränität. Am Bahnhöfli Cazis hatte uns vorher Delias Großvater begrüßt und unsere Koffer in Empfang genommen. Nach dem Klosterbesuch sind wir zu Gast bei Delias Großeltern, die hier in Cazis wohnen und uns eine feine Bündner Gerstensuppe servieren.
Gestärkt spazieren wir nach dem Mittagessen zur Caziser Steinkirche, die uns von Pfarrer Wuttge erläutert wird. In der Reformationszeit entschied jede Bündner Gemeinde selber, ob sie katholisch bleiben oder reformiert werden wollte. Ins katholisch gebliebene Cazis zogen erst spät wieder Refomierte: Sie bauten vor gut zwanzig Jahren mutig eine moderne Kirche, die weitum Aufsehen erregt und ganz im protestantischen Geist gebaut ist.
Mit Zug und Postauto erreichen wir über Thusis und Tiefencastel so gegen vier Uhr Bivio. Die Übernachtung in verschiedenen Ferienwohnungen bringt die Schülerinnen und Schüler fast aus dem Häuschen. Im Hotel Guidon genießen wir ein feines Abendessen sowie ein ausgiebiges Frühstück.
Mittwoch: Das Extra-Postauto fährt uns bis zum Julier-Hospiz, von wo wir in einer knappen Viertelstunde den Pass zu Fuß erklimmen. Mit verteilten Rollen lesen wir das erste Kapitel des Meyerschen Romans, das hier oben spielt. Nach dem «Giorgio, guardati!» machen wir noch ein Klassenfoto bei den berühmten römischen Säulen, die der Zürcher Heinrich Waser seinerzeit abzeichnete – was ihm den geharnischten Tadel «Was treibt ihr da? Spionage?» eingetragen hat. Dann geht es wieder mit dem Postauto den Pass hinunter nach Silvaplana und St. Moritz, wo wir unser Gepäck in der Jugendherberge abstellen. Picknicken, Chillen am See und Kartenspielen auf der Café-Terrasse ist nun angesagt, bis wir um vier Uhr das Grand Hôtel des Bains Kempinski in St. Moritz Bad besichtigen dürfen. Das älteste Hotel St. Moritz’ gehört zu den Fünfsterne-Hotels am Platz und zieht nicht nur internationale und zahlungskräftige Kundschaft an, sondern hat sich auch als Hotel der Sportlerinnen und Sportler positioniert.
Nach dem Nachtessen in der Jugendherberge ziehen einige mit gemieteten Schlittschuhen ein paar Kurven auf dem nahen Eisfeld.
Donnerstag: Pünktlich um neun Uhr holt uns der italienische Chauffeur mit seinem Bus ab. Eine Stunde später empfängt uns in Vicosoprano Frau Giovanoli und erzählt uns von der schlimmen Zeit der Hexenverfolgungen. Wir sehen das Halseisen an der Rathausmauer und die Folterinstrumente im sogenannten «Hexenturm» und sind froh, dass wenigstens bei uns nicht mehr solche Methoden angewendet werden. Zu Jenatschs Zeiten jedoch wurden auf protestantischer wie katholischer Seite viele Menschen gefoltert und grausam zu Tode gebracht. Nachdem uns Frau Giovanoli noch den Galgenplatz gezeigt hat, wandern wir nach
Stampa-Coltura zum Palazzo Castelmur, wo wir zuerst einmal im Garten picknicken. Um Viertel nach eins führt uns Herr Walter in den Palazzo, der seinen Namen von einem zu Adel und Reichtum gekommenen Bündner Zuckerbäcker bekommen hat. Das prächtig ausgestaltete Schloss beherbergt auch eine Ausstellung zur Emigration der Bündner Zuckerbäcker, die in ganz Europa, von Lissabon bis Moskau und von Palermo bis Oslo, «Zuckerbäckereien» gründeten und unterhielten. Jetzt steigen wir wieder in Bus, fahren bis Promontogno, wo wir gerade noch das reguläre Schweizer Postauto nach Soglio erwischen, denn anderen Bussen ist die Zufahrt zu diesem 2015 zum schönsten Dorf der Schweiz gewählten Ort verwehrt. Von Soglio wandern wir durch die Kastanienwälder nach Castasegna hinunter, wo uns der Bus beim alten italienischen Zollhaus erwartet. Um halb fünf sind wir in Chiavenna, wo wir im Ostello al Deserto unsere Zimmer beziehen. Schnell noch ein Gelato im schmucken Städtchen genießen, bevor wir im Ostello mit Pizzoccheri al Primo Piatto, grilliertem Fleisch und Kartoffeln als Secondo und Trauben als Dessert gestärkt werden. Eine Schülergruppe hat den Schlussabend vorbereitet. Also spielen wir jetzt «Mörderlis» und – nach misslungenem Zeitungstanz – «Räuber und Poli». Vielleicht hat Jules doch recht, wenn er meint: «Es eskaliert…».
Freitag: Im schicken Caffè Mastai beim Bahnhof servieren uns überaus freundliche Kellner ein reichhaltiges Frühstück und bringen dazu Kaffee, Latte macchiato, Cappuccino und was der leckeren Sachen mehr sind. Gruppen schwärmen anschließend in das Städtchen, um die Lage der Bilder auf dem Fotoquiz zu eruieren. Sie finden fast alles heraus, sogar versteckte Türglocken… Um elf Uhr – die Sonne ist unterdessen wieder auch im Städtchen zu spüren – fahren wir über unzählige Kurven fast zwei tausend Meter höher zum Splügenpass, wo es ein letztes Klassenfoto vor der italienischen Flagge gibt. In Splügen-Dorf steigen wir in den Doppelstöcker der Post und fahren nach Chur, wo es zur Preisverteilung des Fotoquiz kommt. Kurz vor vier langen wir müde, aber glücklich in Zürich an. Die auf dem Perron ausgelöste Tischbombe der Sieger versetzt diese in einen Luftsprung… Die Klasse 3b ist zusammengewachsen.

Jean Pierre Bünter